Wer den Mund weit aufreißt, wird aufmerksamer

Gähnen: Konzentrationsschub durch Gehirnkühlung

von Holger Westermann

Gähnen gilt gemeinhin als Zeichen der Müdigkeit, ein Zeichen von Desinteresse. Doch diese Interpretation führt offensichtlich in die Irre, wie amerikanische Wissenschaftler herausfanden. Denn das Gähnen steigert die Leistungsfähigkeit des Gehirns unmittelbar. Der Blutdruck und die Herzfrequenz steigen, das Gehirn wird besser mit Sauerstoff und Energie versorgt. Dabei findet ein erhöhter Wärmeaustausch statt und das Gehirn wird gekühlt.

Die amerikanischen Psychologen Andrew Gallup und Gordon Gallup an der Staatsuniversität von New York in Albany berichteten in der Fachzeitschrift Evolutionary Psychology (2007, 5: 92-101), dass sich Probanden je nach Temperatur des Gehirns vom Gähnen Anderer anstecken ließen oder nicht. So zeigten sie, dass das Gähnen offensichtlich auch eine Wärmeaustausch-Funktion besitzt. Durch das Einatmen von kühler Luft beim Gähnen werde der Temperaturhaushalt im Gehirn reguliert, und somit würden die Bedingungen für optimale Leistungsfähigkeit geschaffen.

Bei ihrem Experiment testeten die Wissenschaftler 44 Studenten zwischen 18 und 25 Jahren. Sie untersuchten zunächst, ob unterschiedliche Atemtechniken die ansteckende Wirkung des Gähnens beeinflussen.

Es zeigte sich, dass diejenige Gruppe, die beim Betrachten von verschiedenen, zum Gähnen animierenden Videos nur durch die Nase atmete, während des Versuches nicht gähnte, während in allen anderen Gruppen etwa die Hälfte der Teilnehmer gähnte. Die Forscher erklärten das damit, dass beim Atmen durch die Nase das Blut im Inneren des Organs abgekühlt werde und anschließend durch das Gehirn fließe. So werde keine zusätzliche Kühlung durch das Gähnen notwendig.

In einem zweiten Test-Durchgang ging es nicht mehr um die Atemtechnik, sondern die Probanden mussten ihre Stirn mit einem 46 Grad Celsius warmen beziehungsweise einem vier Grad kalten Beutel temperieren. Von den „heißen Köpfen“ ließen sich mehr als zwei Drittel vom Gähn-Video anstecken, die „gekühlten“ Testpersonen blieben hingegen standhaft.

Gallup und Gallup schließen daraus, dass Gähnen eine wichtige Funktion bei der Regulierung der Temperatur übernimmt: Ist der Kopf zu warm, regt Gähnen den Blutfluss und den Herzschlag an, wodurch die überschüssige Hitze abgeführt wird.
„Gähnen ist nicht, wie man meinen könnte, ein Zeichen von Gelangweilt-Sein oder Schlafen-Wollen. Wir gehen davon aus, dass durch die Temperatur regulierende Funktion des Gähnens die Aufmerksamkeitsfähigkeit sogar gesteigert wird", meinen die beiden Forscher.

Herzhaftes Gähnen ist also durchaus verzeihlich, zeigt es doch vielleicht an, dass der Betreffende nur gerade „heftig“ nachgedacht hat.


Quellen:


Gallup, A.C.; Gallup, G.G. jr. (2007): Yawning as a Brain Cooling Mechanism: Nasal Breathing and Forehead Cooling Diminish the Incidence of Contagious Yawning. Evolutionary Psychology 2007; 5(1): 92-101

Pressedienst Deutsche Gesundheits-Korrespondenz vom Deutschen Grünen Kreuz. dgk, Jg. 48, 10–2007

Erstellt am 3. Januar 2012
Zuletzt aktualisiert am 3. Januar 2012

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