Experimente demonstrieren eindrucksvoll die Warnfunktion von akutem Schmerz

Optische Information beeinflusst das Schmerzempfinden

von Holger Westermann

Wie schmerzhaft eine Verletzung oder medizinische Behandlung empfunden wird, hängt möglicherweise vom Blick des Gepeinigten ab. Auf bekannte und erkannte Schmerzquellen, beispielsweise eine Spritze reagieren Versuchspersonen sehr sensibel. Ohne das stimulierende Bild vor Augen wird der Schmerz als weniger dramatisch empfunden. Erfolgt die Schmerzprovokation jedoch durch einen unsichtbaren Laserstrahl anstatt einer gut sichtbaren Spritzennadel, so lässt sich die Schmerztoleranz durch den Blick auf die offensichtlich unversehrte Hand sogar steigern.

Hinsehen oder wegschauen, wenn die Spritze oder der Jodtupfer zum Einsatz kommt? Das ist in Arztpraxen eine gern und kontrovers diskutierte Frage. „Wegsehen“ empfiehlt die Forschergruppe um Prof. Dr. Andreas Engel (UKE Hamburg) und PD Dr. Daniel Senkowski (Charité Berlin) in einer aktuellen Studie. In den Experimenten unter Federführung von Frau Dipl.Psych. Marion Höfle zeigten sie den Versuchsteilnehmern Filme in denen eine Hand mit Wattestäbchen gestreichelt wurde, unberührt blieb oder eine Spritzen-Injektion erhielt. Parallel dazu wurde selektiv mit leichten Stromschlägen in der Hand der Versuchsteilnehmer das Schmerzempfinden stimuliert. Die Schmerzen wurden besonders intensiv empfunden, wenn sie mit dem Bild einer Spritzen-Injektion einher gingen. Diese Einschätzung erfolgte sowohl subjektiv als auch objektiv, gemessen als Gradient der Pupillenerweiterung. Bei Schmerzempfinden weiten sich die Pupillen, je stärker der Schmerz um so größer werden die Pupillen.

Zu einem gänzlich gegensätzlichen Ergebnis kommt eine Studie aus dem Jahr 2009. Hier setzten die Forscher jedoch einen unsichtbareren Infrarot-Laserstrahl ein, um experimentell Schmerzen auszulösen. Auch hier wurde subjektives Beschreiben der Schmerzen und objektives Messen der Schmerzintensität, in diesem Fall mittels EKG, registriert. Blickten die Versuchsteilnehmer dabei auf ihre eigene Hand so waren die Schmerzen besser zu ertragen, als wenn eine offensichtlich fremde Hand angesehen wurde. Dabei war es irrelevant, ob tatsächlich die vom Laserstrahl gereizte Hand im Blick lag oder ob die andere Hand ins Blickfeld gespiegelt wurde. Wichtig war, dass die Hand so aussah wie die eigene und deshalb dafür gehalten wurde. Diesen Spiegeltrick machen sich Schmerztherapeuten auch zu nutze, um Patienten mit amputierten oder nach Verletzungen längst wieder verheilten aber noch gezeichneten Gliedmaßen zu helfen.

Fasst man die Ergebnisse beider Studien zusammen, so ist für das Schmerzempfinden relevant, ob eine Schmerzprovokation gesehen und als solche erkannt wird. Bleibt die Schmerzquelle unsichtbar, so kann ein Blick auf schmerzende Körperteile lindernd wirken. Offensichtlich wirkt die Vergewisserung, dass keine akute Verletzung vorliegt, beruhigend und somit mittelbar auch schmerzreduzierend.

Quellen:

Höfle M. et al. (2012): „Viewing a needle pricking a hand that you perceive as yours enhances unpleasantness of pain”. Pain 153(5) 1074-1081

Longo, M.R. et al. (2009): Visually Induced Analgesia: Seeing the Body Reduces Pain. The Journal of Neuroscience 29(39):12125–12130

Erstellt am 4. Juni 2012
Zuletzt aktualisiert am 4. Juni 2012

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