Schätzungen gehen von mehreren zehntausend Toten pro Jahr aus
Arzneimittelwechselwirkungen sind nicht nur lästig, sondern lebensgefährlich
Arzneimittel helfen heilen und machen das Leben mit einer Erkrankung leichter und erträglicher, vielen Menschen wird das Leben durch Arzneimittel für viele weitere Jahre erhalten. Aber Medikamente können auch Lebensjahre kosten, wenn sie nicht richtig angewendet werden. Dabei geht es nicht nur darum, dass bei falscher Anwendung die heilende oder lindernde Wirkung ausbleibt und die zu behandelnde Erkrankung ungehindert voranschreiten kann. Hoch wirksame Arzneimittel können bei fehlerhafter Einnahme oder in Kombination mit anderen Stoffen auch selbst zur Gesundheitsgefahr werden.
„Hinreichend bekannt dürfte sein, dass Alkohol die Wirkung von Arzneien beeinflusst, beispielsweise die von Schmerz- und Beruhigungsmitteln verstärkt und zugleich die Reaktionsfähigkeit deutlich reduzieren kann“, sagt Markus Kuhn vom KKH-Allianz Serviceteam in Heilbronn. Es ist aber nur wenigen Patienten bewusst, dass Tabletten gegen Bluthochdruck (Betablocker, Calciumkanal-Blocker) oder Blutfettsenker (Statine) mit Grapefruitsaft eingenommen zu Herzrasen und Schwindel führen können. Der Fruchtsaft bremst die Aktivität des Leberenzyms CYP3A4 und stört so den Abbau der Medikamente, erläutert Prof. Dr. Dieter Steinhilber von der Goethe-Universität (Frankfurt am Main, Hessen) und Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. Die Arzneistoffe reichern sich im Blut und in der Leber an und führen zu unkalkulierbaren Wirkungen. Oftmals häufen oder verstärken sich dann auch die Nebenwirkungen der Medikamente, wie beispielsweise Muskelschmerzen während der Therapie mit Statinen. Neben Grapefruitsaft hemmen auch Ginseng (Stärkungsmittel), Gelbwurzel (Kukuma, Gewürz, verdauungsanregend), Baldrian (Ein-Schlafhilfe), Antibiotika aus der Gruppe der Makrolaktone und einige Anti-Pilz-Mittel (Fungizide, Antimykotika) das Enzym CYP3A4. So liegt die Statin-Konzentration im Blut 19-mal höher, wenn zugleich der Fungizid-Wirkstoff Itraconazol eingenommen wird.
Gerade im Urlaub greifen Hotelgäste am Frühstücksbuffet gerne zu Leckereien, die zu Hause nicht auf den Tisch kommen. Das Glas Multivitaminsaft gehört dazu und wer fragt in der Vorfreude auf einen ereignisreichen Urlaubstag schon nach, ob sich in dem fruchtigen Vitaminkick eine Dosis Grapefruit versteckt?
Insbesondere mit Lebensmitteln treten eine Vielzahl der riskanten Wechselwirkungen auf. So können Joghurt, Quark, Käse und andere Milchprodukte die Wirkung von Antibiotika beeinträchtigen. Der Milchkaffee mit Schwarzwälder Kirschtorte verhindert das Abheilen der Borelliose, die man sich durch einen Zeckenstich beim Wandern am Feldberg zugezogen hat. „Zwei Stunden vor und nach der Einnahme von Medikamenten sind daher Milchpordukte, auch der kleine Milchkaffee, tabu“, rät der Experte von der KKH-Allianz. Sind Tabletten laut Beipackzettel mit ausreichend Flüssigkeit einzunehmen, sollte das idealerweise Wasser sein. Kaffee oder Tee können auch ohne Milch, allein aufgrund ihres Gehalts an Gerbsäure die Wirkung von Medikamenten, beispielsweise Eisentabletten, aufheben.
Häufig führt auch die Kombination verschiedener Medikamente zu unerwünschten aber folgenschweren Arzneimittelwirkungen. „Antibiotika oder Schmerzmittel können den Effekt von blutdrucksenkenden Mitteln verändern“, nennt Markus Kuhn ein immer wieder auftretendes Beispiel aus der Praxis. Den Menschen wird schwindelig, sie können stürzen und da kein Abstützreflex den Fall bremst, sind Verletzungen nahezu unvermeidlich.
Wer mehrere Medikamente am Tag einnehmen muss, sollte sich fragen, ob die behandelnden Ärzte von den Verordnungen des Kollegen wissen. Patienten, die bei mehreren Fachärzten in Behandlung sind, aber den Besuch beim Hausarzt scheuen, gehen ein hohes Risiko ein. Der Blick auf die Gesamtheit der einzunehmenden Medikamente ist wichtig um schwere Unverträglichkeiten zu vermeiden. „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ heißt es nicht umsonst im Pflichttext der Arzneimittelwerbung. Denn auch frei verkäufliche Arzneimittel aus der Apotheke können in Wechselwirkung mit anderen Medikamenten ganz neue Reaktionen des Körpers provozieren oder die Wirksamkeit der Arznei vermindern oder verstärken. Deshalb ist es wichtig sich mit wirklich allen Medikamenten, die eingenommen werden – ob regelmäßig oder nur bei Bedarf – beim Hausarzt vorzustellen. Oft hilft auch ein Gespräch mit dem Apotheker, denn hier ist der Sachverstand zum Thema Medikamentenwechselwirkungen, mit Nahrungs- oder Genussmitteln wie auch mit anderen Medikamenten, sicherlich nicht geringer.
Deshalb fordert der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) für das geplante eHealth-Gesetz kompetente Unterstützung für die Patienten durch eine Arzt und/oder eine Apotheker. So sollen ab Oktober 2016 alle Patienten, die mindestens fünf verordnete Arzneimittel einnehmen, Anspruch auf einen patientenverständlichen Medikationsplan haben. Die Verbraucherschützer stärken damit ausdrücklich die Rolle der Apotheker, denn viele Patienten hätten keinen Hausarzt mehr oder wollten möglicherweise einen anderen Arzt oder „ihren Apotheker mit der Erstellung des Medikationsplans betrauen“. Der Patient müsse selbst entscheiden können, „wem er vertraut und welche Leistungserbringer ihn unterstützen sollen“. Erst dann ergäbe sich durch das geplante eHealth-Gesetz ein konkreter Nutzen für die Patienten, der unerwünschte Wechsel- und Nebenwirkungen effektiv verhindern könne.
Quellen: Richtige Medikamentenanwendung rettet Leben. KKH-Allianz: Risiken durch Arzneimittel oft unterschätzt. Pressemitteilung der KKH-Allianz vom 23.Februar 2012 E-Health-Gesetz: Freiwilligkeit der Nutzung hat oberste Priorität. Pressemitteilung der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) vom 10.02. 2015.
Erstellt am 2. März 2012
Zuletzt aktualisiert am 18. Februar 2015

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