Engagement in der Patienten-Selbsthilfe fasst die positiven Effekte zusammen
Gesundes Herz und nette Gesellschaft sind Garanten für fites Gehirn und langes Leben
Je weniger Herz-Kreislauf-Risiken der Lebensstil älterer Menschen mit sich bringt, um so besser ist es um deren geistige Leistungsfähigkeit bestellt. Regelmäßiger Ausdauersport verbessert die körperliche Gesundheit und verzögert die altersbedingten Einschränkungen der geistigen Gesundheit. Auch die soliden sozialen Bindungen im Verein, wo Menschen über Jahrzehnte ein gemeinsames Hobby organisieren, verbessern die Prognosen für die Gesundheit älterer Menschen - und es muss noch nicht einmal ein Sportverein sein.
Drei Studien untersuchen die Rahmenbedingungen für eine hohe Lebenserwartung bei geistiger Frische.
Ein Forscherteam der University of Miami (Florida, USA) kategorisierte die aktuelle Herzgesundheit von 1.033 älteren Menschen (Durchschnittsalter 72 Jahre) nach den sieben Risikokriterien der American Heart Association: Raucher, übergewichtig, körperlich inaktiv, fettreiche Ernährung, hoher Blutdruck, erhöhter Cholesterinspiegel, Diabetes. Die untersuchten Personen erfüllten zumeist zwei bis sechs der Kriterien; niemand war frei von Risiken. Zu Beginn der Studie und nach durchschnittlich sechs Jahren prüften die Forscher die Herz-Kreislauf-Gesundheit sowie die Gedächtnisleistung und andere kognitive Fähigkeiten.
Die Auswertung der Veränderung in den sechs Jahren zeigte, dass vorrangig der Verzicht aufs Rauchen und ein normaler Blutzuckerwert die altersbedingte Verschlechterung der Hirnleistung verzögern. Zugespitzt formuliert: Im Rentenalter erleben Raucher und Diabetiker mit größerer Wahrscheinlichkeit eine rasche Erosion ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit. Studienleiterin Prof. Dr. Hannah Gardener fordert deshalb in ihrem Fazit: „Weitere Studien müssen nun zeigen, wie durch vorbeugende Maßnahmen zur Stärkung von Herz und Kreislauf auch das Nachlassen kognitiver Leistungen aufgehalten werden könnte“.
Einen praktikablen Ansatz präsentiert eine Studie, die ebenfalls von Forschern der University of Miami (Florida, USA) vorgestellt wurde. Demnach lässt sich der im Alter unvermeidbar auftretende Verlust von Gedächtnis und Denkfähigkeit durch Ausdauersport verzögern. Das zeigte die Analyse der Daten von 800 Personen. Wer nur sehr wenig oder gar keine körperliche Freizeitaktivität (LTPA, leisure-time physical activity) betrieb, verlor sehr viel rascher und sehr viel früher in der Biographie die geistige Frische. Bei Menschen mit chronisch geringer LTPA war der geistige Alterungsprozess bis zu zehn Jahre weiter fortgeschritten, gegenüber Menschen im selben Lebensalter mit hoher LTPA. Dieser Effekt blieb auch stabil, wenn weitere Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum Bluthochdruck und mögliches Übergewicht in der statistischen Analyse berücksichtigt wurden. Moderater Ausdauersport ist gerade in der fortgeschrittenen Lebensphase gut für die Gesundheit; für die geistige genau so wie für die körperliche.
Ideale Unterstützung für die gesundheitlichen Gewinn versprechende Investition von Zeit und ein wenig Geld (gerade Ausdauersportarten bedürfen oftmals nur wenig finanziellen Einsatz) ist das soziale Engagement. Auch dazu ist vor allem Zeit und nur wenige Geld notwendig. Im Verein widmen sich die Menschen ihrem Hobby unter Gleichgesinnten; neben dem gemeinsamen Spass an der Sache selbst trägt auch das Gemeinschaftsgefühl und der intensive soziale Kontakt das Vereinsleben. Die Mitgliedschaft ist zumeist nur eine geringe finanzielle Belastung. Ob jemand einem Verein beitritt oder so eine Gemeinschaft durch Austritt dauerhaft verlässt ist klares Zeichen der selbstbestimmten Zugehörigkeit - und für Forscher ein gut zu analysierendes (bei Befragungen auch retrospektiv noch zählbares) Kriterium.
Eine australische Forschergruppe nutzte die Vereinszugehörigkeit und deren Veränderung während der Neuorientierung beim Eintritt ins Rentnerleben als als Messinstrument, um den positiven Effekt eines stabilen sozialen Umfelds außerhalb der Familie zu analysieren.
So zeigte sich, dass der Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand für Vereinsmitglieder deutlich seltener mit Einbußen an Lebensqualität verbunden war als für nicht vereinsgebundenen Neurentnern. Unabhängig vom Vereinszweck, ob Religion, Geselligkeit oder Sport fühlten sich die Menschen in den überschaubaren sozialen Organisationen generell wohler und gesünder. Der positive Effekt entsprach in etwa regelmäßig betriebenem Ausdauersport (vergleichbar moderatem LTPA).
Ausgewertet wurden aus einer britischen Langzeitstudie die Daten von 424 Menschen (> 50 Jahre alt), die aktuell in den Ruhestand gewechselt waren. Zum Vergleich wurden aus der selben Langzeitstudie die Daten gleichalter Personen herangezogen, die entweder im gesamten Untersuchungszeitraum von sechs Jahren weiterhin berufstätig blieben oder die bereits vor Beginn der Studie nicht mehr berufstätig waren. Abgefragt wurde die Mitgliedschaft in Vereinen, Clubs und anderen Organisationen, die durch persönlichen Beitritt und aktive Teilhabe charakterisiert ist. zudem interessierte die Forscher regelmäßige körperliche Aktivität, Gesundheit und Lebensqualität der Versuchsteilnehmer.
Die Forscher erkannten einen klaren Zusammenhang zwischen Vereinsmitgliedschaft und Lebensqualität:
- Sechs-Jahres-Sterberate bei Menschen, die zwei Vereinsmitgliedschaften auch nach der Verrentung beibehielten betrug 2%.
- Sechs-Jahres-Sterberate bei Menschen, die einen der beiden Vereine verließen betrug 5%.
- Sechs-Jahres-Sterberate bei Menschen, die beiden Vereine verließen betrug 12%.
Groll über den Verein oder andere Mitglieder wird nicht der Grund dafür sein, denn das selbst eingeschätzte Wohlbefinden schwand mit jedem Vereinsaustritt um 10%. Die Auswirkungen dieses sozialen Defizits auf die Gesundheit ist einem abrupten Stopp regelmäßiger körperlicher Aktivität vergleichbar:
- Sechs-Jahres-Sterberate bei Menschen, die sich zumindest einmal pro Woche trainierten betrug 3%
- Sechs-Jahres-Sterberate bei Menschen, die ihr sportliches Engagement mit Eintritt in den Ruhestand einstellten, betrug 11%.
Genau diesem Credo verpflichten sich moderne Patienten-Selbsthilfegruppen. Wobei „wichtig“ im Sinne von bedeutsam und relevant zu verstehen ist. Relevant ist Patienten-Selbsthilfe, weil zumeist chronischen Beschwerden die Patienten zusammenführen. Diese Leiden sind für Betroffene oft alltagsbestimmend. Zumeist nennt die Organisation sie im Vereinsnamen. Bedeutsam ist moderne Selbsthilfe für die Mitglieder aber aus ganz anderem Grund: Im Kreis der Mitglieder können sie über die alltäglichen Beschwernisse aber auch über Spassiges sprechen ohne sich ständig mit der Erkrankung selbst auseinander setzten zu müssen. Dazu können sie untereinander nur wenig Neues berichten, das meiste ist den anderen leidvoll vertraut. Im Kontakt mit gesunden Mitmenschen dominiert allzu oft die Erkrankung selbst das Gespräch. Die Menschen meinen es gut mit ihrer Empathie, doch für die Betroffenen ist es kein Vergnügen. Die Selbsthilfe gewährt hier unter den Experten aus Betroffenheit einen Raum ohne Bedauerungsbekundungen. Wer sich neben der Mitgliedschaft noch ehrenamtlich in der Gruppenleitung engagiert, verstärkt den positiven Sozialeffekt. Die individuelle Bedeutung des Vereins wächst mit dem persönlichen Engagement. Sicherlich kann man nicht die Gleichung aufstellen: Die Wahl zur (stellvertretenden) Vorsitzenden oder Kassenwart oder … ergibt den selben Gesundheitseffekt wie zweimal pro Wochen eine halbe Stunde joggen.
Doch garantiert gibt es in der Patienten-Selbsthilfe, wie in anderen Vereinen und Organisationen auch, hinreichend Raum für gesundheitsförderliche soziale Gemeinschaft, die das frühzeitige Altern der geistigen Leistungsfähigkeit verhindert. Der positive Zusatznutzen: Anregungen für ein Bewegungstraining, das von Betroffenen auch tatsächlich durchgeführt werden kann. Andere Mitglieder haben es bereits erfolgreich ausprobiert.
Quellen: Steffens, N.K. et al. (2016): Social group memberships in retirement are associated with reduced risk of premature death: evidence from a longitudinal cohort study. BMJ Open 6: e010164, online veröffentlicht am 16. 02. 2016. DOI: 10.1136/bmjopen-2015-010164
Gardener, H. et al. (2016): Ideal Cardiovascular Health and Cognitive Aging in the Northern Manhattan Study. Journal of the American Heart Association e002731, online veröffentlicht am 16. 03. 2016. DOI: 10.1161/JAHA.115.002731
Willey, J.Z. et al. (2016): Leisure-time physical activity associates with cognitive decline. Neurology, online veröffentlicht am 23. 03. 2016. doi:http://dx.doi.org/10.1212/WNL.0000000000002582
Erstellt am 9. April 2016
Zuletzt aktualisiert am 9. April 2016
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