Zukünftig ist zuverlässige Migräne-Diagnose auch schmerzfrei möglich

Blutanalyse erkennt Migräne

von Holger Westermann

Die Schmerzepisoden sind leidvolle Höhepunkte einer Migräneerkrankung. Es ist das Ziel jeder Migräne-Therapie, den Schmerz verschwinden zu lassen, zumindest aber die Zahl der Attacken zu reduzieren. Deshalb ist es sinnvoll nach einer Diagnose zu suchen, die nicht den Schmerz als typisches Symptom benötigt, um eine Migräne von anderen Kopfschmerz-Erkrankungen zu unterscheiden. Dafür ist nun eine Lösung in Sicht.

Migräne wurde früher mit den Schmerzepisoden gleichgesetzt. Während einer Migräneattacke galten die Patienten als bemitleidenswert krank, ansonsten hielt man sie (und sie sich selbst auch ) für gesund. Heutzutage ist bekannt, dass die Menschen auch dann unter Migräne leiden, wenn sie kein Kopfschmerz quält. Heißhungerattacken, Unruhe, Konzentrationsprobleme, zunehmende Gereiztheit kündigen oftmals eine Attacke an, können aber auch vorüber gehen, ohne dass Kopfschmerzen folgen.

Ein nachhaltiger Therapieerfolg bemisst sich primär an Intensität und Häufigkeit der Schmerzattacken, aber auch die Begleitsymptome sollten zurück gehen. Ideal wäre es, wenn die Migräne-Erkrankung selbst schwindet oder gar verschwindet. Um diesen Erfolg zu messen, bedarf es eines Verfahrens, das unabhängig von den Schmerzepisoden zuverlässige Ergebnisse liefert.

Bislang diente der charakteristische Verlauf einer Kopfschmerz-Attacken als eindeutiges Erkennungszeichen für Migräne. Zur Absicherung der Befunde konnte auch körperlich-neurologische Untersuchungen, beispielsweise Wahrnehmungs- und Bewegungstests, herangezogen werden. Typische anatomischen Veränderungen der Hirnrinde von Migräne-Patienten, die auch außerhalb akuter Schmerzattacken bestehen bleiben, entziehen sich einer dokumentierenden Dauerbeobachtung. Durch Elektroenzephalogramm (EEG, „Hirnströme“ messen) oder ins Gehirn Einblick gewährende Verfahren wie Computertomographie (CT) und Magnetresonanztomographie (MRT) zeigen bei der Migräne keine Auffälligkeiten. Zur Diagnose oder gar zur Überwachung des Therapieerfolgs sind sie daher nicht geeignet.

Nun ist es Wissenschaftlern der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore (Maryland, USA) gelungen einen Migräne-Marker im Blut zu identifizieren. Im Blut von Migräne-Patienten ist die Konzentration mehrerer Membranlipide (Fettmoleküle mit spezieller Funktion in Zellmembranen) gegenüber gesunden Vergleichspersonen verändert - einige lagen deutlich höher, andere deutlich niedriger. Je größer jeweils die Differenz zum Normalwert ausfällt, um so wahrscheinlicher ist eine Migräne-Erkrankung. Dieser Befund ist in seiner diagnostischen Qualität unabhängig von einer akuten Kopfschmerzattacke.

In ihrer Studie fokussierten die Forscher auf die Gruppe der Sphingolipide (ungesättigte Alkoholgruppe Sphingosin, C18H37NO2). Diese Membranlipide regulieren beispielsweise in der Haut den Feuchtigkeits- und Fetthaushalt, im Gehirn spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Signalübertragung und bei Entzündungsprozessen.

Das neu entdeckte Diagnoseverfahren konnte sich auch in einem Blindtest bewähren. Bei 14 Frauen mit unbekannter Diagnose konnten die Forscher anhand der Blutanalyse eine präzise Zuordnung treffen; alle Migräne-Patientinnen wurde erkannt und keiner der Gesunden irrtümlich als erkrankt klassifiziert.

Die Forscher sind in ihrem Fazit zuversichtlich: „Unsere Studie belegt, dass Tests des Serum-Sphingolipide Frauen mit Migräne von solchen ohne Migräne unterscheiden können“. Sofern sich die Ergebnisse in Studien mit einer großen Zahl von Patienten bestätigen, stünde damit ein, von akuten Schmerzattacken unabhängiger Biomarker zur Migräne-Diagnose zur Verfügung.

Quellen:

Peterlin, B.L. et al. (2015): Interictal, circulating sphingolipids in women with episodic migraine - A case-control study. Neurology, online veröffentlicht am 09.09.2015. doi: 10.1212/WNL.0000000000002004

Erstellt am 11. September 2015
Zuletzt aktualisiert am 12. September 2015

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