Wetter
Klima-Michel schwitzt
Zwischen dem Hoch „Finchen“ über Osteuropa (Luftströmung im Uhrzeigersinn um das Zentrum) und dem ausgeprägten Tief „Bonimir“ mit Kern westlich von Irland (Luftströmung entgegen dem Uhrzeigersinn) strömt heiße subtropische Luft nach Mitteleuropa. Das Thermometer übersteigt vielrorts die 30°C-Grenze, mancherorts sogar 35°C. Die gefühlte Temperatur, die den thermischen Einfluss auf Wohlbefinden und Gesundheit beschreibt, liegt zumeist noch darüber. Zur Berechnung dieser Referenz hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) das Klima-Michel-Modell entwickelt.
Der Einfluss des Wetters auf die belebte Natur ist offensichtlich. Erst der unstete Wechsel der Umweltbedingungen ermöglicht die Artenvielfalt. Wäre das Wetter ein stabiler Temperatur- und Regenzyklus, so wäre eine optimale Anpassung an genau diese Bedingungen möglich. Genau diese Arten würde alle anderen verdrängen. Erst die Unberechenbarkeit und Vielfalt der Lebensbedingungen garantiert die Vielzahl erfolgreicher Arten.
Die Biometeorologie befasst sich mit den Wechselwirkungen zwischen den atmosphärischen Prozessen und den lebenden Organismen (Pflanzen, Tiere oder Menschen). Dabei stehen aber nicht die Prozesse im Fokus, die für die evolutionäre Entwicklung unterschiedlicher Arten verantwortlich sind, sondern vielmehr die Prozesse der physiologischen Anpassung einzelner Individuen an die kurzfristig wirksame wetterbedingte Umweltveränderung. Dabei werden drei Wirkungsbereiche unterschieden:
- aktinische Wirkungskomplex
- lufthygienische Wirkungskomplex
- thermische Wirkungskomplex
Der aktinische Wirkungskomplex fokussiert die biologisch wirksame Sonnenstrahlung; vom infraroten (IR) über das für Menschen sichtbare bis zum ultravioletten Licht (UV). Die IR-Strahlung fördert als Wärmestrahlung in geringer Intensität die Agilität, für wechselwarme Organismen wirkt sie sogar belebend. Konzentriert man sich bei der Betrachtung auf den Menschen, fördert die IR-Strahlung die Durchblutung, die Arterien weiten sich. Sichtbares Licht beeinflusst Hormonhaushalt und Psyche. UV-Strahlung provoziert Hautbräunung, Vitamin-D3-Synthese aber auch Sonnenbrand.
Im lufthygienischen Wirkungskomplex werden die natürlichen und die durch den Menschen verursachten Luftbeimengungen zusammengefasst. Zu diesen zählen Grob- und Feinstaub, Pollen sowie gasförmige und flüssige Stoffe aus Natur, Landwirtschaft, Haushalten und Industrie. Im Nebel kumuliert ein Gutteil dieser Effekt. Deshalb sind stabile Nebellagen über dicht besiedelten Landschaften mit intensiver Emission ein ernstzunehmendes Gesundheitsproblem.
Besonders intensives Interesse besteht angesichts der aktuellen Hitzewelle am thermischen Wirkungskomplex. Für den Menschen ist die konstante Körpertemperatur von rund 36,5°C eine biologische Überlebensbedingung. Einerseits muss der Körper das Auskühlen verhindern, andererseits muss die durch Muskel- und Organaktivität erzeugte Wärme zuverlässig abgeführt werden. Nicht die Temperatur der Umgebungsluft ist daher relevant, sondern deren Wärmeableiteigenschaften. Die wichtigsten meteorologischen Größen dabei sind Lufttemperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit und Strahlung. Um das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit des Menschen zu gewährleisten, ist es notwendig, die Bewertung und Vorhersage der thermischen Umweltbedingungen des Menschen in einer physiologisch korrekten sowie wirkungsvollen und praktischen Weise aufzubereiten, darzustellen und weiterzugeben.
Um das thermische Empfinden auf Basis der vorgefundenen Umgebungsbedingungen vorherzusagen, wird auf verschiedene Konzepte zurückgegriffen. Ein weitverbreitetes Konzept ist dabei die Betrachtung der „äquivalenten Temperatur“. Sie beschreibt die Lufttemperatur, die in einer Referenzumgebung herrschen müsste, um das gleiche thermische Befinden wie in der aktuellen Umgebung (optimalen Zustand des Wärmehaushaltes des Körpers) hervorzurufen. Der Vergleich der äquivalenten Temperatur zur Lufttemperatur erschließt sich häufig selbstständig, besonders in Hinsicht auf extreme Bedingungen (Hitzebelastung, Kältereiz).
Der Deutsche Wetterdienst entwickelte auf Basis der „gefühlten Temperatur“ als wohletablierte Variante der „äquivalenten Temperatur“ das „Klima-Michel-Modell“. Dabei wird auch die Anpassung der Bekleidung an die aktuellen thermischen Bedingungen berücksichtigt. Der Klima-Michel beschreibt bei der Bewertung einen aufrecht stehenden Norm-Menschen, der gerade eine Arbeitsleistung von 172,5 Watt bzw. 135 Watt pro Quadratmeter Hautoberfläche erbringt. Dies entspricht einem moderaten Schreiten ohne sportlichen Ehrgeiz mit etwa 4 km/h in der Ebene. Das Modell geht davon aus, dass "Michel", um sein thermisches Gleichgewicht herzustellen, seine Garderobe den jeweils aktuellen Bedingungen anpasst.
So kennt das Klima-Michel-Modell einen weit bemessenen Wohlfühlbereich zwischen 0 und 20°C gefühlter Temperatur, da durch angemessene Kleidung eine hinrechende Thermoregulation möglich ist. Auch Menschenswetter stützt sich mit seinen medizinmeteorologischen Prognosen auf die Klima-Michel-Daten. Derzeit werden für ganz Mitteleuropa starke bis sehr starke Wärmebelastungen vorhergesagt; dabei kommt dann auch der österreichische Klima-Seppel ins Schwitzen.
Quellen: Dipl.-Met. Lars Kirchhübel: Die Hitze kommt, der Körper stöhnt! Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 03.08.2015
Erstellt am 5. August 2015
Zuletzt aktualisiert am 5. August 2015

Unterstützen Sie Menschenswetter!
Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.
Zwischenfrühling
Sonnenschein, Wärme an langen lichten Tage dieser Frühlingsdreiklang lockt hierzulande in den kommenden Tagen ins Freie. Das nasskalte Wetter weicht angenehmer Witterung. Für die Mehrzahl wetterempfindlicher Menschen eine Wohltat - leider wird auch der Pollenflug stimuliert. weiterlesen...
Beschleunigte Alterung der Gehirne erwachsener Frauen nach traumatiesierender Erfahrung in der Kindheit
Erleiden Mädchen emotionale, sexuelle oder physische Gewalt, müssen sie als Frauen mit einem höheren Risiko für Depressionen, Angststörungen, Fibromyalgie, Herzkreislauf - und Stoffwechselerkrankungen leben. Forscher der Charité Berlin haben nun einen weiteren neurologischen Effekt erkannt. weiterlesen...
Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen
Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...
Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen
Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...
Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose
Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...
Wetterwechsel provoziert Migräneattacken
Befragt man Menschen, die unter Migräne leiden, werden zuverlässig bestimmte Wetterlagen oder eine besonders dynamische Veränderung des Wetters als Auslöser von Schmerzattacken genannt. Deshalb wurde dieser besondere Umwelt-Trigger schon vielfach untersucht. Neue Studien zeigen, dass es nicht die Wetterlage ist, die Schmerzattacken auslöst. weiterlesen...