Zeiträumen werden richtig bemessen
Depression dehnt die Zeit
Depressive Menschen haben ein besonderes Zeitempfinden. In ihrer Wahrnehmung verrinnt die Zeit deutlich langsamer, als andere Menschen es empfinden. Konkrete Zeitintervalle werden dagegen korrekt eingeschätzt.
Jeder Mensch kennt den Effekt, dass bei konzentrierte Arbeit, fesselnder Freizeitgestaltung oder amourösen Begegnungen die Stunden verfliegen, während bei anderen Gelegenheiten, die oftmals als Zumutung für Körper und Geist empfunden werden, die einzelnen Minuten kaum verstreichen. Menschen, die dauerhaft oder in Episoden mit Depressionen leben müssen, empfinden während akuter Erkrankungsphasen einen verzögerten Zeitfluss – unabhängig von der aktuellen Lebenssituation.
Dies ist das Ergebnis einer Metastudie der beiden Psychologen Sven Thönes und Dr. Daniel Oberfeld-Twistel von der Johannes Gutenberg Universität (Mainz, Rheinland Pfalz, Deutschland). Ausgewertet wurden 16 wissenschaftliche Studien zum Zeitempfinden bei Depression mit insgesamt 433 depressiven und 485 nicht depressiven Teilnehmern.
"Psychiater und Psychologen in Kliniken oder Praxen berichten immer wieder davon, dass depressive Patienten das Gefühl haben, die Zeit schleiche langsam dahin oder vergehe im Zeitlupentempo", erläutert Dr. Oberfeld-Twistel die Relevanz der zusammenfassenden Datenauswertung. Diese Beobachtungen konnten durch die Metastudie bestätigt werden. Depressive Personen empfinden den Zeitfluss deutlich langsamer als gesunde Vergleichspersonen.
Bei der Einschätzung konkreter kurzer Zeiträume zeigte sich dagegen kein Unterschied zwischen beiden Personengruppen. Hier sind depressive Menschen genauso gut (oder ungenau) wie Menschen ohne akute psychische Belastung. Eine schlüssige Erklärung für den gefundenen Zusammenhang zwischen Depressionen und Zeitwahrnehmung können die Forscher nicht anbieten. So sei zu berücksichtigen, dass die Mehrzahl depressiver Patienten mit Antidepressiva oder Psychotherapie behandelt würden, deren Wirkung auf das Zeitempfinden aber noch nicht hinreichend untersucht sei.
Für die Patienten ist es aber sicherlich hilfreich, dass ein gedehntes Zeitempfinden als Symptom der Depression erkannt wurde. Neben vielen anderen Unannehmlichkeiten und Belastungen dieser Erkrankung ist ein Zeitgefühl, das sich deutlich von dem des sozialen Umfeldes unterscheidet, eine zusätzliche Barriere zur Umwelt. Sie zu kennen heißt noch nicht zwingen sie niederreißen oder überspringen zu können, aber man kann sich und andere darauf hinwiesen und womöglich lernen damit zu leben.
Quellen: Thönes, S.; Oberfeld, D. (2015): Time perception in depression: A meta-analysis. Journal of Affective Disorders 175: 359 – 372. doi: 10.1016/j.jad.2014.12.057.
Erstellt am 13. März 2015
Zuletzt aktualisiert am 13. März 2015

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