Kritische Kollision zwischen idealem Selbstbild und realisiertem Verhalten

Geiz stresst und gefährdet die Gesundheit

von Holger Westermann

Relevant ist dabei, ob nach Einschätzung des Geizigen dem Geldempfänger gegenüber das Gebot der Fairness verletzt wurde. Niemand zeiht sich selbst gern des Egoismus und des Makels mangelhafter Gerechtigkeit. Doch genau das passiert nach Überzeugung australischer Wissenschaftler, wenn Menschen wissen, dass sie ihr Gegenüber übervorteilt haben – und das bleibt nicht ohne negative Folgen für die Gesundheit.

Insbesondere notorische Geizkragen riskieren Dauerstress und infolgedessen chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck und Depression. Selten ist der Geizige glücklich und gesund. Für ihre Untersuchung nutzten die Forscher einen bekannten psychologischen Test für kooperatives Verhalten, das Ultimatum-Spiel. Einer der zwei Testpersonen, dem Anbieter, wird eine teilbare Ressource (Anzahl von Leckereien, Geldbetrag, Spielpunkte) gegeben, um sie mit dem Spielpartner (Empfänger) zu teilen. Der Empfänger hat nun die Möglichkeit das Angebot anzunehmen oder zurückzuweisen. Wird das Angebot abgelehnt erhalten beide Spieler gar nichts. Streng ökonomisch betrachtet sollte der Empfänger jedes noch so geringe Angebot annehmen, denn das Wenige wäre immer noch ein Gewinn. Tatsächlich weisen die Empfänger das Angebot jedoch zurück, sobald sie sich ungerecht behandelt fühlen. Die gefundenen Grenzwerte (zumeist angegeben in % der noch akzeptierten Ressourcenteilung) sind innerhalb von sozialen oder kulturellen Wertegemeinschaften erstaunlich stabil. So hat sich das Ultimatum-Spiel bewährt, um Gerechtigkeitsgrenzen, die nicht übertreten (unterschritten) werden dürfen, in einem numerischen Wert vergleichbar zu machen.

Für ihre Experimente konnten die Forscher 156 Erstsemester im Studienfach Wirtschaftswissenschaften (davon 67 Frauen) gewinnen. Gespielt wurde in 13 Spielrunden mit insgesamt 74 Spielpaarungen, wobei die Spiele stets nachmittags stattfanden. So sollte der Einfluss der Tageszeit auf die Stressparameter Herzfrequenz und Blutdruck konstant gehalten werden.

Den Anbietern standen pro Spiel mit 360 australische Cent (ca. 250 Euro-Cent) zur Verfügung, ein eher symbolischer Betrag. Der mittlere Grenzwert für eine Zurückweisung des Angebots lag bei einer Teilungsquote von 42% (152 Cent), wobei ab 46% die Annahme überwog, unterhalb von 33% eine Ablehnung sehr wahrscheinlich war. Dieses Ergebnis fügt sich in die Reihe bekannter Resultate für kapitalistische Gesellschaften europäischen Ursprungs (USA, Kanada, Europa, Australien, mit Einschränkungen Südamerika).

Um die körperliche Reaktionen der Spieler zu messen bestimmten die Forscher die Herzfrequenzvariabilität (heart rate variability, HRV), die Veränderung des zeitlichen Abstands zwischen zwei Herzschlägen. Für diese Technologie spricht, dass sie kurzzeitige Stress-Reaktionen zuverlässig abbildet und die Beeinträchtigung der untersuchten Personen durch Apparate verschwindend gering bleibt. Anhand des HRV-Profils kann neben der unmittelbaren Herzreaktion auch die Aktivität des vegetativen Nervensystems bestimmt werden, die als Indikator für die psychische Belastung gilt.


Auffällig war dabei die körperliche Reaktion der Anbieter wie auch der Empfänger, wenn das Angebot riskant niedrig gewählt wurde. "Wir fanden heraus, dass ein niedriges Angebot unterhalb von 40% der Gesamtsumme sowohl beim Verteiler als auch beim Empfänger die Variabilität der Herzfrequenz ansteigen ließ und den Stresspegel erhöhte", erläutert Studienleiter Prof. Dr. Uwe Dulleck.

Die Forscher vermuten, dass diese parallele Stressentfaltung durch die Empathie des Anbieters mit dem Empfänger entsteht. Wer andere unfair behandelt, zwingt sich selbst in einen emotionalen Konflikt, der körperlich durchlitten wird. Geiz ist nicht geil, sondern eine Gefahr für die eigene Gesundheit.

Quellen:

Dulleck, U. et al. (2014): Heartbeat and Economic Decisions: Observing Mental Stress among Proposers and Responders in the Ultimatum Bargaining Game. Plos One, online veröffentlicht am 23.09. 2014. DOI: 10.1371/journal.pone.0108218

Erstellt am 7. November 2014
Zuletzt aktualisiert am 7. November 2014

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