Relevant ist die gefühlte Temperatur

Infarktrisiko bei Wetterwechsel

von Holger Westermann

Die aktuelle Wetterlage hat klinisch relevanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einen Schlaganfall zu erleiden, mit dieser Diagnose ins Krankenhaus eingeliefert zu werden oder gar daran zu sterben. Dabei sind offensichtlich nicht die konkreten Wetterwerte wie absolute Temperatur, Luftfeuchte oder Strahlungsintensität der Sonne ausschlaggebend, sondern die Dynamik des Wetterwechsels.

Insbesondere wenn Temperatur und Luftfeuchte sich rasant verändern, zumeist bei Austausch der Luftmassen bei einem Frontendurchgang, steigt das Infarktrisiko und die Vehemenz der Infarkte, erkennbar an der höheren Wahrscheinlichkeit daran zu sterben.

Für ihre Studie wurden die Daten von 134.510 US-Amerikanern (> 18 Jahre) die in den Jahren 2009-2010 mit der Diagnose ischämischer Schlaganfall (Durchblutungsstörung des Gehirns, zumeist aufgrund von Einengungen oder Verschlüssen der hirnversorgenden Arterien durch ein Blutgerinnsel) in ein Krankenhaus eingeliefert worden waren. Diese Daten wurden mit den ortsbezogenen Wetterdaten der Einweisungstage, insbesondere in Hinblick auf Temperatur und Luftfeuchte, abgeglichen.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Eine niedrige Jahersdurchschnittstemperatur führt zu einer größeren Zahl diagnostizierter Schlaganfälle und provoziert eine höhere Sterbewahrscheinlichkeit.
  • Es zeigte sich, dass größere Temperaturwechsel im Tagesverlauf (beispielsweise Frost am Morgen, vergleichsweise hohe Mittagstemperatur – unterstützt durch Strahlungswärme bei Sonnenschein) und hohe relative Luftfeuchte mit einer großen Zahl an Krankenhauseinwesisungen korrelierten, aber keinen merklichen Einfluss auf die Sterbewahrscheinlichkeit hatten.
  • Jeder Temperaturanstieg um 1°F (1°Fahrenheit entspricht 0,556°Celsius) reduzierte die Wahrscheinlichkeit einer Krankenhauseinweisung mit der Diagnose Schlaganfall um 0,89%; die Sterbewahrscheinlichkeit sogar um 1,1%.


Auffällig ist, dass die Kombination aus hoher relativer Luftfeuchte und niedriger Temperatur besonders risikoträchtig ist. Offensichtlich ist die „gefühlte Temperatur“ die relevante Messgröße. Bei hoher Luftfeuchte kann dem Körper an kalten Tagen besonders effektiv Wärme entzogen werden. Deshalb misst die menschliche Haut keine absolute Umgebungstemperatur, sondern erkennt wieviel Wärme ihr entzogen wird. Für ein warmblütiges Wesen eine durchaus relevante Information, aber eine unpräzise Temperaturmessung. So wird eine Umgebungstemperatur von -5°C bei trockener Luft als weniger kalt empfunden als +5°C bei hoher relativer Luftfeuchte.

Sicherlich erzeugt das Wetter kein Schlaganfallrisiko, hier sind die physiologischen Risikofaktoren weiterhin konkurrenzlos wirksam. Bluthochdruck (Hypertonie), Rauchen, Diabetes, Koronare Herzkrankheit (KHK) oder periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK; Schaufensterkrankheit) sowie anderer Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ein hoher Cholesterinspiegel (insbesondere LDL-Cholesterin), Bewegungsmangel, Übergewicht (Adipositas) und übermäßiger Alkoholkonsum legen die physiologische Basis für die Schlaganfallanfälligkeit. Das Wetter kann aber die konkreten Infarkt auslösen. Plötzlich auftretende Gesichts- und Extremitätenlähmungen, Artikulationsprobleme, Verwirrtheit (Neglect) und Verständnisprobleme, überraschend auftretende Hör- und Sehstörungen, Schwindelgefühle oder starke Kopfschmerzen ohne bekannte Ursache sind Hinweise auf einen Schlaganfall – die unbedingt schnelles Handeln, sicherlich eine Krankenhauseinweisung, rechtfertigen.

In ihrem Fazit weist Frau Prof. Dr. Judith H. Lichtman von der Yale School of Public Health in New Haven (Connecticut, USA) darauf hin, dass „meteorologische Faktoren wie Tagestemperaturschwankungen und erhöhte Luftfeuchtigkeit als Stressoren, die Wahrscheinlichkeit für einen Schlaganfall erhöhen“. Menschen, die ihr Infarktrisiko kennen (oder er-kennen sollten), sind an Tagen mit hohem Temperaturschwankungen bei gleichzeitig hoher Luftfeuchte besonders gefährdet und sollten an solchen Risikotagen bei ersten Anzeichen/Symptomen eines Schlaganfalls schnell handeln und einen Rettungsdienst alarmieren.

Auf Menschenswetter sind solche Risikotage stets mit der Gefahrstufe rot oder gar violett für die Erkrankungen „Angina pectoris“ sowie „Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Hypertonie)“ gekennzeichnet. Maßgeblich ist dabei stets die gefühlte Temperatur, die Umgebungstemperatur, Luftfeuchte sowie Windgeschwindigkeit und Strahlungsintensität der Sonne berücksichtigt. Auch heiße Sommertage können Menschen mit diesen Herz-Kreislauf-Erkrankungen stark belasten. Doch zumeist steigt dann nicht das Risiko für einen Herz- oder Hirninfarkt, sehr viel wahrscheinlicher droht eine Lungenembolie – ein Lungeninfarkt. Ansonsten sind heiße, insbesondere schwülheiße Sommertage eine starke Kreislaufbelastung, die Aktivität hemmt und als körperliche Anstrengung empfunden wird. Sie provozieren aber nicht das selbe hohe Infarktrisiko wie Tage mit niedriger gefühlter Temperatur.

Quellen:

Lichtmann, J.H. et al. (2014): Weather changes may be linked with stroke hospitalization, death. American Stroke Association Meeting Report: Abstract: WP123, online veröffentlicht am 12.02. 2014.

Erstellt am 13. April 2014
Zuletzt aktualisiert am 13. April 2014

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