Wetter
Phänologische Verwirrung
Phänologie beschreibt die Veränderung der Natur im Jahreslauf. Pflanzen und Tiere haben sich an den mitteleuropäischen Wechsel der Jahreszeiten angepasst, gesteuert durch die Reaktion auf Tageslänge (Sonnenscheindauer) und das Wetter. Doch auf diese Regulation ist derzeit (2015) wenig Verlass - die Natur reagiert konfus auf verwirrende Signale. Auch manche Menschen leiden unter der atypischen Witterung.
Im Frühling feucht (Schneeschmelze und Regen) und zunehmend wärmer, im Sommer heiß und trocken, im Herbst nass und kühler, im Winter trocken (Schnee liegt auf dem Boden und dringt nicht ein) und kalt - so verändert sich hierzulande die Witterung im Verlauf der Jahreszeiten. Die Evolution von Pflanzen und Tieren ermöglicht prinzipiell zwei Strategien:
- Abwarten bis die Witterung Überleben und Vermehrungschancen garantiert
- Frühzeitigen Beginn der Aktivität, um gegenüber Artgenossen einen Startvorteil zu nutzen, auch wenn dies das Risiko eines disqualifizierenden Frühstarts (Tod oder zumindest Verlust der Vermehrungsmöglichkeit in diesem Jahr) mit sich bringt
In manchen Jahren ist die zweite Strategie von Vorteil, in anderen die erste. Bleiben Spätfröste aus, garantiert das forsche Nutzen der ersten Wärmeperiode den Erfolg; Pflanzen sichert rasches Wachstum den Platz an der Sonne, bei Tieren können die besten Nistplätze oder Territorien besetzt werden. In anderen Jahren führt diese Strategie zu erheblichen Verlusten; bei Pflanzen erfrieren junge Triebe und Blüten, bei Tieren bleibt das Futter aus (insbesondere bei Insektenfressern) und infolgedessen sinkt die eigene Überlebenswahrscheinlichkeit wie auch die der jungen Nachkommen.
Besonders anschaulich lässt sich der Effekt bei Zugvögeln beobachten. Nach mehreren milden Winter in Folge verzichtet ein immer größerer Teil der Population auf den beschwerlichen Weg nach Süden. Die sparsamen Tiere haben überlebt und waren vor den weit geflogenen Artgenossen im Brutrevier. Sie konnten die besten Territorien und Nistplätze besetzen und frühzeitig mit dem Brutgeschäft beginnen und so die Überlebenschancen für ihre Nachkommen verbessern. Wird auch die Neigung zum Vogelzug von den Eltern auf die Nachkommen vererbt, steigt dadurch auch die Zahl der Nicht-Zugvögel in der Population. Die Menschen beobachten, dass infolge der milden Winter die Vögel nicht mehr gen Süden ziehen. Oftmals genügt jedoch ein strenger Winter, um die Begeisterung für den Vogelzug zu erneuern - im nächsten Frühjahr werden allein die zurückkehrenden Zugvögel Eltern der nächsten Generation. Diese natürliche Selektion ist nicht nett zu den einzelnen Tieren, garantiert aber als wesentlicher Effekt der Evolution die langfristige Anpassungsfähigkeit der Arten an unvorhersehbar schwankende Umweltbedingungen.
So wie das Wetter zu den einzelnen Jahreszeiten eine typische Schwankungsbreite aufweist, weisen auch Pflanzen- und Tierarten eine (begrenzte) Vielfalt der Merkmale innerhalb der Population auf. Extreme Wettersituationen, wie der aktuell sehr warme Dezember, können daher bei einzelnen Individuen bereits einen Frühlings-Frühstart provozieren. Die Phänologie interessiert sich für diesen biologischen Effekt des Wetters. Notiert werden augenfällige Zustandswechsel, für die sich ein Zeitpunkt, ein Tag des ersten Auftretens in einer Region feststellen lässt. Bei den Pflanzen registrieren die Beobachter phänologischer Effekte das Erblühen, Blattentfaltung, Wachsen und Reifen der Früchte, später den Laubfall und den Eintritt der Winterruhe. Bei den Tieren ist die Veränderung des Verhaltens relevant: Brunft (erster Vogelgesang, Nestbau), Geburt (Schlüpfen) und Jungtieraufzucht, später das Sammeln zum Rückflug in Winterquartiere oder Rückzug zum Winterschlaf. Diese Zeitpunkte unterscheiden sich von Region zu Region (im Süden beginnen Vegetationsperiode und Aktivität der Tiere zumeist früher im Jahr als im Norden und währen auch länger) doch auch die langfristige Wetterentwicklung, insbesondere Temperatur und Sonnenscheindauer, können die phänologischen Termine im Vergleich der Jahre verschieben.
Die Vegetationsruhe beginnt, wenn das Tagesmittel der Lufttemperatur unter 5°C sinkt (für einige Pflanzen auch bei 10°C). Derzeit wird jedoch vielerorts noch eine Tagesmitteltemperatur von mehr als 5°C ermittelt. Freiburg im Breisgau (Baden-Württemberg, Deutschland) meldete an Heiligabend 16,8°C und wolkenlosen Himmel. Bei solchen Bedingungen schaltet die Vegetation auf Vorfrühling. Pollen-Allergiker, die sensibel auf Hasel und Erle reagieren, haben das womöglich schon über die Weihnachtsfeiertage gespürt.
Normalerweise gilt der Dezember als Monat der phänologischen Winterruhe, heuer (in diesem Jahr) wurden einzelne Pflanzen bereits aktiv. Die phänologischen Uhr des Jahres 2016 begann schon Ende 2015 zu ticken. Doch die Terminkorrektur wird zum Jahreswechsel erwartet. Ein Kaltluftvorstoß von Osten nach West bringt pünktlich zum Neuen Jahr flächendeckend Frost, mancherorts auch ganztägigen Dauerfrost. Die Frühstarter unter den Pflanzen erleben ein reproduktionsbiologisches Desaster. In dieser Saison haben sie ihren Pollen verschleudert, ohne Aussicht auf erfolgreiche Befruchtung.
Zum Jahreswechsel stellt sich die Wetterlage um. Das Hochdruckgebiet „Brigitte“ über dem Mittelmeer verliert seinen Einfluss auf das Wetter hierzulande. Von Nordosten rückt das Festlandshoch „Christine“ nach und lenkt sehr kalte Luft nach Mitteleuropa. Die Folge ist ein markanter Temperatursturz auf -5°C bis -7°C. Bereits in der Sylvesternacht wird der Osten erfasst, im Verlauf des 1. Januar weitet er sich westwärts aus.
Am ersten Wochenende im neuen Jahr ist mancherorts auch in Tal- und Tieflangen Dauerfrost möglich. Wie weit die Kaltluft nach Westen voran kommt, kann derzeit noch nicht sicher prognostiziert werden. Aber auch dort wird der Temperaturrückgang deutlich zu spüren sein. In dem Mittelgebirgen kann es über 400 bis 500 m auch schneien - bis zu 15cm Neuschnee sind möglich.
Wetterempfindliche Menschen sollten sich darauf einstellen. In der derzeit noch vorherrschenden Warmluft ist stark wärmende Winterkleidung nicht empfehlenswert, da die meisten Menschen darin rasch schwitzen, wodurch der Körper schneller auskühlt und zudem ein unangenehmes Körpergefühl entstehet (Stress). Sobald die Kaltluft ihren Wohnort erreicht muss die Garderobe aber unbedingt auf Winter umgestellt werden, denn ansonsten droht durch Frösteln beispielsweise ein deutlicher Blutdruckanstieg (Adern ziehen sich zusammen), Gelenkschmerzen (beispielsweise bei Menschen mit Rheuma) oder Muskelverkrampfungen (besonders riskant bei Asthma-Patienten). So müssen auch die Menschen ihre phänologische Uhr wieder neu justieren.
Quellen: Dipl.-Met. Lars Kirchhübel: Die sehr milden Temperaturen als Gefahr für die Pflanzenwelt! Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 26.12.2015
Erstellt am 27. Dezember 2015
Zuletzt aktualisiert am 29. Dezember 2015

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